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AutorenbildNadja Bircher

Sicherheit - ein Bedürfnis mit Grenzen

Aktualisiert: 24. Juli 2021

In dieser Corona-beherrschten Zeit taucht ein mir altbekanntes Thema auf: das Thema Sicherheit. Als Kind habe ich mir jeden Abend vor dem Schlafengehen vorgestellt, dass Gott eine Schutzglocke über mich stülpt, damit ich sicher und wohlbehütet schlafen kann. Ich habe mir diesen Schutz in etwa so wie auf dem Bild hier vorgestellt: ein Art Käseglocke gegen äussere Einflüsse. Später als Erwachsene ging ich das Thema wissenschaftlicher an. Ich arbeitete als Juristin im Bereich der Sicherheitspolitik, da mich dieses Thema schon immer faszinierte und ich es als zentralen Pfeiler unserer Gesellschaft und unseres Lebens betrachte. Bereits an der Uni verfasste ich meine Lizentiatsarbeit zum Thema "Sicherheit und Sicherheitsillusion". Was verstehen wir unter Sicherheit? Was bietet tatsächlichen Schutz? Was erzeugt nur die Illusion von Sicherheit?


Heute taucht das Thema mit voller Wucht wieder auf, beherrscht die Medien und ist als erlebbares, aber trotzdem unfassbares, unsichtbares Ding in unser aller Leben sehr präsent. Sicherheit. Wir wollen uns sicher fühlen. Wir wollen sicher sein. Das Coronavirus stellt das in Frage und lässt uns im Ungewissen. Wir wissen nicht, wie bedrohlich das Virus denn nun genau ist, wir erhalten widersprüchliche Informationen und das macht uns unsicher. Aus dieser Unsicherheit heraus entsteht bei einigen Menschen Wut. Wir erleben das konkret, wenn wir einen Blick in die News werfen, Kommentare lesen oder Leuten aus unserem Umfeld zuhören.


Der Mensch strebt nach Sicherheit. Erst, wenn wir sicher sind, nicht an Leib und Leben bedroht werden, können wir uns anderem zuwenden. Vielleicht kennen Sie die Maslowsche Pyramide? Der Psychologe Abraham Maslow hat die menschlichen Bedürfnisse nach ihrer Notwendigkeit respektive Dringlichkeit geordnet. Das Sicherheitsbedürfnis kommt in seiner Skala direkt als 2. Bedürfnis nach den Existenzbedürfnissen wie Nahrung, Wasser, Schlaf.



Sie sehen und merken das bestimmt auch bei sich selber: Sicherheit und das Gefühl, sicher und wohlbehalten durch den Tag zu kommen, ist ein absolut grundlegendes und zentrales Bedürfnis von uns Menschen.

Wenn wir an das Wort Sicherheit denken, kommt uns mit grosser Wahrscheinlichkeit erstmal das Wort Kriminalität in den Sinn. Ich möchte z.B. insbesondere in meinem Haus sicher sein. Jeder und jede, bei dem / der schon einmal eingebrochen worden ist, weiss um das fragile Gefühl der Sicherheit in den eigenen vier Wänden. Wenn ein Eindringling in unserem Zuhause war, fühlt man sich - selbst wenn er schon längst wieder weg ist - erstmal gar nicht mehr sicher. Der Fremde/die Fremde ist gefühlt die erste Zeit nach dem Einbruch immer mit im Haus und man erschreckt bei jedem unerwarteten Geräusch. Kurz: im Kopf dauert der Einbruch an, in der Realität ist er schon längst Geschichte. Fühlte man sich vorher sicher im eigenen Zuhause, wird man es wahrscheinlich nach dem Einbruch erst mal nicht mehr sein. Was kann man also tun, um das Gefühl der Sicherheit wiederherzustellen? Man könnte sich einen schwer knackbaren Safe für sämtliche Wertsachen anschaffen, zusätzliche Sicherheitsschlösser an Türen und Fenster und Überwachungskameras anbringen oder sich einen Wachhund anschaffen. Der Handel mit Sicherheitstechnik ist ein lohnender Markt. Denn viele Menschen sind zu grossen Anschaffungen und Zugeständnissen bereit, nur um das Sicherheitsgefühl wieder herzustellen. Bei nüchterner Betrachtung liesse sich jedoch in zahlreichen Fällen der Schluss ziehen, dass die getroffenen Massnahmen unverhältnismässig sind und am Ziel vorbeischiessen. Und dass einige Massnahmen nur das Gefühl von Sicherheit verschaffen, tatsächliche Sicherheit aber nicht herstellen können. Nur zählen oft sachliche und nüchterne Argumente in der Hitze des Gefechts nicht.


Ich sehe viele Parallelen zu der heutigen Corona- und Gesundheitsdiskussion. Das neue Virus bedroht unsere Gesundheit und dessen Bekämpfung beeinträchtigt unsere Wirtschaft. Es kommen mehrere Ängste zusammen. Umso mehr ist es jetzt von absoluter Wichtigkeit, einen kühlen Kopf zu bewahren und nicht kopflos und voller Sorge Entscheide zu treffen, die mit effektivem Schutz nichts zu tun haben. Nur wie schaffen wir es, dass wir uns nicht in den Ängsten verlieren? Wie bekommen wir wieder ein gesundes und realitätsnahes Gefühl von Sicherheit?

Der hilfreichste Weg für kluge und nachhaltige Entscheidungen sind:
- ein klarer Blick auf die Realität
- und ein klarer Blick auf das vorhandene Wissen und Nichtwissen.

Letzteres finde ich persönlich ganz wichtig. Ich denke es ist entscheidend, zu erkennen und zuzugeben, dass man etwas nicht weiss. Nur so ist es möglich, zu lernen. Nur so sind wir offen für das Neue. Manchmal stehen wir aber unter Zeitdruck und können mit Entscheiden nicht zuwarten, bis alles notwendige Wissen vorhanden und nochmals bestätigt worden ist. Hier ist es wiederum hilfreich klar zu differenzieren: was ist bereits an Wissen da, was nicht? Welche Handlungsvarianten gibt es und was sind die Vor- und Nachteile? Wenn ich mich für Variante A entscheide und der worst case tritt ein: was hätte das dann für Folgen? Wenn ich Variante B wähle, was hätte das dann für Folgen? Und dann kommt der Moment des Abwägens: was bin ich bereit zu riskieren? Denn darum geht es.

Absolute Sicherheit gibt es nicht. Es geht einzig und allein darum, wie man mit dem Fakt der Unsicherheit und Ungewissheit umgeht und wieviel Risiko man einzugehen bereit ist.

Wir kennen das Ringen um Sicherheit ja nicht nur vom Thema Kriminalität oder Corona. Wir kennen es auch in der Liebe. Wenn wir jemanden lieben, möchten wir, dass die Beziehung hält. Wir möchten sicher sein, dass der Geliebte / die Geliebte uns auch liebt. Wir suchen nach Zeichen, die uns bestätigen, dass es so ist. Manchmal fragen wir sogar direkt: liebst du mich noch? Doch auch hier haben wir keine Garantie. Nicht mal der ausgeklügeltste Ehevertrag kann versichern, dass die Liebe hält; er regelt nur den Fall, wenn es auseinandergehen sollte. Doch in ständiger Sorge leben, dass es auseinandergehen könnte, das kann es doch wohl nicht sein! Wir müssen also mit dem Wissen leben, dass es nicht für immer sein könnte und mit der Hoffnung, dass die Liebe Bestand haben wird. Lassen Sie uns das im nächsten Blogbeitrag genauer anschauen, wie das ist mit der Liebe und dem Bedürfnis nach Sicherheit. Bis dahin wünsche ich Ihnen eine gute Zeit und kommen Sie wohlbehalten in die neue Woche.





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