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AutorenbildNadja Bircher

Wie Sie lernen können mit Angst umzugehen - Teil 2

Aktualisiert: 4. Apr. 2020

Lassen Sie uns nun konkrete Angstbewältigungs-Strategien anschauen.

Sie haben vielleicht schon Verschiedenes gelesen, wie man mit Angst umgehen soll. Die einen empfehlen, die Angst zu verdrängen und auszublenden. Andere sagen, man solle sie vermeiden.

Ich bin überzeugt, das weder das eine noch das andere hilfreich ist und zu einem gesunden und starken Lebensgefühl beiträgt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn ich etwas verdränge, es sowieso wiederkommt. Ich würde es also immer wieder verdrängen und immer mehr Energie aufwenden müssen, um es wegzuschieben. Das erscheint mir wenig sinnvoll. Diese Energie kann ich andernorts sinnvoller einsetzen.

Auch Angst um jeden Preis zu vermeiden, ihr aus dem Weg gehen, scheint mir kein guter Rat zu sein. Denn mein Ziel ist es, das Leben mit seinen Herausforderungen meistern zu können.

Ich möchte stark sein und mir etwas zutrauen können. Ich möchte fähig sein, mit dem Gefühl der Angst umzugehen und handlungsfähig zu bleiben.

Und ich bin überzeugt davon, dass wir das können! Wir sind stärker, als wir meinen. Wir können dieser Angst begegnen und sie wird uns nicht töten oder fertigmachen. Denn die Angst selber ist nicht gefährlich. Angst ist nur ein Gefühl. Sie passiert in uns drin. Gefährlich ist höchstens das Geschehen in der Aussenwelt, also die aktuelle Situation. Wir können lernen, das Gefühl der Angst auszuhalten.

Was auf das Gefühl der Angst folgen muss, ist deshalb der bewusste Denkprozess.

Folgende Schritte können dabei hilfreich sein:

1. ruhig atmen
2. Gefühl der Angst wahrnehmen: was ist da los?
3. Beobachten: was fühle ich genau? Was denke ich?
4. hinschauen: worum geht es bei meiner Angst? Was löst die Angst aus?
5. Realitätscheck: entspricht die Angst in meinem Kopf dem Gefährdungspotenzial in der Realität?
6. Konkrete Entscheide treffen

Lassen Sie uns auf die einzelnen Punkte näher eingehen.

Zu 1: finden Sie heraus, wie Sie sich selber beruhigen können. Unterbrechen Sie damit den Prozess, der in Ihrem Körper automatisch abläuft. Indem Sie sich bewusst auf die Atmung konzentrieren und tief ein- und ausatmen, unterstützen Sie Ihr parasympathisches Nervensystem. Bei vielen Menschen funktioniert dabei der Trick mit dem bewussten Atmen. Probieren Sie es aus. Geben Sie nicht gleich auf, wenn Sie denken, es bringt nichts. Auch das braucht etwas Übung.


Zu 2: stellen Sie sich vor, Sie müssten jemandem beschreiben, was grad in Ihnen vorgeht. Das könnte z.B. sein: ich fühle eine grosse Unruhe in mir, mein Herz schlägt schneller, meine Handflächen sind feucht, meine Atmung geht schneller und flacher, mein Körper zittert usw. Nehmen Sie es einfach wahr, was körperlich gerade passiert. So schaffen Sie sich ein Bewusstsein für die Vorgänge.


Zu 3: nun schauen Sie auf die emotionalen und kognitiven Vorgänge: was fühle ich? Beklemmung? Geht das einher mit dem Eindruck, angegriffen zu werden? Denke ich, dass meine Sicherheit gefährdet ist? Geht es mir nun an den Kragen? Welche Gedanken kommen? Wenn Sie diese Übung immer wieder machen, werden Sie evt erstaunt sein, dass bei Ihnen immer wieder die gleichen Gedanken auftauchen, egal, was genau die Angst bei Ihnen ausgelöst hat. Vielleicht macht es Sinn, diese Gedanken mal aufzuschreiben, damit Sie beim nächsten Mal nachschauen können, was Sie damals gedacht haben.


Zu 4: was war der Auslöser der Angst? Z.B. ganz aktuell: Sie haben gelesen, in der Schweiz gehe der Coronavirus um. Oder: Sie hatten einen fürchterlichen Streit mit Ihrem Partner / Ihrer Partnerin, das hat Angst ausgelöst. Oder: Ihr Kind hat ein Glas zerschlagen und sich geschnitten - es blutet wie verrückt.


Zu 5: jetzt geht es darum, Ihr Wissen anzuzapfen und wenn angebracht, weitere Informationen zu der angstmachenden Situation einzuholen. Bei der Angst vor dem Coronavirus könnte das also sein: haben Sie Angst, sich anzustecken? Dann prüfen Sie, ob Sie zur Risikogruppe gehören. Holen Sie sich glaubwürdige Informationen, meiden Sie mediale Plattformen, wo sich nicht nachprüfbare und zahlreiche unseriöse Theorien tummeln. Sprechen Sie mit Experten oder mit Bekannten oder Freunden, die Ihres Wissens über vertiefte Kenntnisse verfügen. Was könnten sinnvolle Massnahmen sein, die Sie nun in Ihrer Situation treffen können? Braucht es Unterstützung von aussen? Bei diesem Punkt geht es also darum, Ihre Innenwelt (Gedanken) mit der Aussenwelt abzugleichen - mir persönlich gefällt der Begriff Realitäts-Check.


Zu 6: Was ist nun konkret zu tun? Welcher Schritt ist Ihr nächster? Beschaffen Sie sich die Hilfsmittel, die Sie nun brauchen. Holen Sie sich Unterstützung, wenn Sie nun welche brauchen (Sie gehören zur Corona-Risikogruppe? Bitten Sie jemanden, für Sie einkaufen zu gehen, fragen Sie bei Ihrer Gemeindeverwaltung nach, ob jemanden helfen könnte, wenn Sie niemanden haben). Ist Ihr Haushalt nicht sicher für Kleinkinder? Räumen Sie die Schränke um: alles Zerbrechliche und Gefährliche kommt in für das Kleinkind unerreichbare Höhe, Tupperware und Pappteller kommen in untere Schränke (meine Jungs konnten als Kleinkinder Stunden damit verbringen, Schränke ein- und auszuräumen...). Sobald Sie ins Handeln kommen, realisieren Sie, dass Sie Ihrer Angst nicht hilflos ausgeliefert sind.

Wichtig ist: übernehmen Sie die Kontrolle über die Dinge, die sich kontrollieren lassen.
Akzeptieren Sie die Dinge, die sich nicht kontrollieren lassen.

Es gibt Dinge, die wir nicht kontrollieren können. Einige PsychologInnen sagen, dass wir nur Angst haben, weil wir nicht die totale Kontrolle haben. Das Leben lässt sich aber nun mal einfach nicht in Gänze kontrollieren. Das müssen wir gerade mit dem Coronavirus erkennen: wir können lediglich gescheit darauf reagieren, aber wir werden ihn nicht beherrschen können. Oder mit unseren Kindern: wir können unsere Kinder nicht in Watte packen und vor allem bewahren. Die Kinder müssen gewisse Erfahrungen machen, um z.B. Schmerz zu erleben, denn so lernen sie. Aber wir können - so gut wir es vermögen - grosse Gefahren eindämmen.


Sie haben nun ganz viel gelesen. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Ausdauer. Jetzt geht`s ans Üben. Probieren Sie es aus. Schauen Sie, wo die Tricks hilfreich sind oder wo es noch was anderes bräuchte. Mal wird es Ihnen schwerer fallen, mal etwas leichter, die 6-Schritte-Technik anzuwenden.

Denken Sie immer wieder an Ihr Ziel: es geht nicht darum, dass die Angst weggeht. Es geht darum, mit ihr gescheit umzugehen. Die Angst darf also da sein, sie soll aber nicht Ihr Handeln bestimmen.

Wenn Sie etwas tun möchten, was Ihnen Angst macht und die Angst einfach nicht weggeht (z.B. ein Jobwechsel, ein neuer Partner/neue Partnerin, eine Rede vor Publikum halten), dann überlegen Sie, ob Ihr Vorhaben gefährlich ist für Ihr Leben oder das eines anderen. Wenn es nicht gefährlich ist und schlicht und einfach das Angstgefühl nicht weggeht, dann können Sie sich immer noch für folgende Vorgehensweise entscheiden: wenn ich es ohne Angst nicht kann, dann tue ich es einfach mit Angst.

Eines der besten Bücher, die ich zu diesem Thema gelesen habe, ist von Russ Harris: "wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei. Ein Umdenkbuch". Wenn Sie zu dem Thema noch mehr lesen möchten, kann ich es Ihnen von Herzen empfehlen. Viel Spass beim Lesen!


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